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Veranstaltungsarchiv 2010

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Gedenkveranstaltung in Engerhafe
Landessuperintendent Dr. Detlef Klahr (2.v. rechts) begegnete bei der Gedenkveranstaltung in Engerhafe Peter Dijs (links), einem Enkel von Gerrit Hellendoorn, der im KZ Engerhafe verstarb, und Janny van Roon, deren Vater, Johannes van Dompseler, im KZ Ladelund umgekommen ist. Der erste Vorsitzende der Stiftung "Oktober 44", Jan van den Hoorn (rechts) war zusammen mit Gert van Dompseler aus Putten gekommen. Foto: öso.

"Das Fenster öffnen" – Gedenkveranstaltung in Engerhafe

öso. Engerhafe. Eine besondere Gedenkveranstaltung fand am 23. Oktober in der vollbesetzten Kirche in Engerhafe statt. 66 Jahre nach der Errichtung des Konzentrationslagers, war zum ersten Mal eine Begegnung mit Angehörigen der Opfer des Nationalsozialismus möglich. Anwesend waren Janny van Roon, deren Vater im KZ Ladelund umgekommen ist, und Peter Dijs, dessen Großvater, Gerrit Hellendoorn, in Engerhafe starb.

Der Verein KZ Gedenkstätte Engerhafe e.V., der erst seit dem 29. Oktober 2009 besteht, hatte zum Gedenken eingeladen. Unter dem Motto "Das Fenster öffnen", wollte er nicht nur den Blick auf die Opfer ermöglichen, sondern vor allem mit ihren Angehörigen sprechen. Der zweite Vorsitzende, Ulrich Kolhoff, stellte die Absicht des Vereins vor, in dem leerstehenden Pfarrhaus, in dem damals die Lagerkommandantur untergebracht war, eine ständige Ausstellung einzurichten.

Ab dem 21. Oktober 1944 waren 2000 Gefangene aus dem KZ Neuengamme in Engerhafe eingetroffen. Sie sollten Aurich durch einen Panzergraben befestigen. Nach 2 Monaten blieben 188 Tote auf dem Friedhof in Engerhafe zurück. Ihre Totenzettel waren nun erstmals in der Ausstellung im Pfarrhaus zu sehen. Außerdem hatte der Künstler Herbert Müller dort seine Bilder gezeigt. Sie versuchen, das Geschehene zu vergegenwärtigen.

Die Grußworte der politischen und kirchlichen Vertreter zeigten die große Unterstützung dieser Gedenkstättenarbeit. Pastor Dr. Detlef Dieckmann unterstrich als Ortspastor die Aufgabe, sich des Geschehenen zu erinnern und die Namen der Toten nicht zu vergessen.

Das Vorhaben des Vereins wurde auch von den politischen Vertretern unterstützt. So vom Bürgermeister der Gemeinde Südbrookmerland Friedrich Süssen und dem Bürgermeister der Stadt Aurich Heinz-Werner Windhorst. Dieser betonte, dass dem nationalsozialistischen Gedankengut entgegenzuwirken sei. Landrat Walther Theuerkauf sprach dem Verein die Unterstützung des Landrates und des Kreistages aus.

Landessuperintendent Dr. Detlef Klahr wies mit einem Vers aus dem Anti-Kriegslied "Sag mir, wo die Blumen sind" auf die Schwierigkeit hin, das Geschehene überhaupt zu verstehen. In dem Lied heißt es: "Über Gräber weht der Wind, wann wird man je versteh`n?" Ihn bewege es sehr, dass das KZ gegenüber der Kirche eingerichtet war. "Damals hielt man das Fenster aus Angst geschlossen. Heute wollen wir das Fenster zur Geschichte weit aufmachen, uns erinnern und auch in der Gegenwart Menschen schützen, wenn ihre Würde mit Füßen getreten wird." Man müsse um die Zusammenhänge in der Geschichte wissen, damit wir heute gegen Unrecht und Gewalt auftreten können, so Klahr.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand ein Interview, das der Vorsitzende des Vereins, Pastor i.R. Carl Osterwald, mit Janny van Roon führte. Er selbst ist Jahrgang 1927 und war als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er wurde danach ein überzeugter Pazifist. Osterwald hob hervor, dass wir von der belastenden Erinnerung nur frei werden könnten, wenn wir ein Gegenüber haben, von dem wir die Lebensgeschichten der Opfer hören.

Dazu war der erste Vorsitzende der Stiftung "Oktober 44", Jan van den Hoorn, mit seiner Frau Evelyn zusammen mit Janny van Roon und Gert van Dompseler als weitere Vertreter der Stiftung aus Putten gekommen. Van den Hoorn verlas die Namen der zwölf Männer aus Putten, die in Engerhafe zu Tode gequält wurden, und erzählte die Geschichte dieses Ortes.

Aus dem niederländischen Ort Putten wurden nach einem Anschlag von niederländischen Widerstandskämpfern auf ein Auto der deutschen Wehrmacht, bei dem ein deutscher Soldat getötet wurde, 588 Männer im Alter von 18 bis 55 Jahren in das Konzentrationslager Neuengamme verschleppt, von denen dann zwölf in Engerhafe umgekommen sind. 110 Häuser wurden in Putten abgebrannt.

Janny van Roon war fünf Jahre alt, als ihr Vater, Johannes van Dompseler, deportiert wurde. Er war 44 Jahre alt, Bäcker und Konditor und hatte vier Kinder. Er starb am 5. November 1944 im Konzentrationslager in Ladelund, das ebenso wie das in Engerhafe zum Bau von Panzergräben eingerichtet worden war. Auch zwei ihrer Onkel und andere Verwandte waren weggeführt worden. Putten ist der Ort der Witwen und Waisen. Janny van Roon erzählte sichtlich bewegt, wie sie als Kind beim Knacken des Holzes nachts manchmal dachte: "Das ist Papa. Papa kommt zurück!" Doch "Papa kam nicht wieder!"

Der Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Dr. Habbo Knoch, malte in seinem Vortrag den Zuhörerinnen und Zuhörern vor Augen, dass drei Dinge in der Gedenkstättenarbeit wichtig seien: Die Namen, die Geschichte und der Ort. Er freute sich, dass die noch junge Arbeit des Vereins "KZ Gedenkstätte Engerhafe" jetzt schon eine so breite Unterstützung erfahre.

Musikalisch umrahmt wurden die Beiträge vom Collegium Musicum Aurich. Im Anschluss fand eine Kranzniederlegung an den Gräbern statt, bei der der Posaunenchor Engerhafe den Psalm 84 spielte. Diesen Psalm hatten die Männer kurz vor ihrer Wegführung nach Verkündung des Urteils in ihrer Kirche in Putten gesungen. Begegnungen und Gespräche bei der Teetafel im Gulfhof Ihnen beendeten die Gedenkveranstaltung. (Oktober 2010)

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